ALLEGORIE


 

  
CORNELIS DE VOS: ALLEGORIE DER VERGÄNGLICHKEIT (1514) 

Leinwand, 190 x 194 cm
Herzog Anton Ulrich - Museum, Braunschweig

 

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Eine reich gekleidete Dame sitzt - ihren Kopf in die Hand stützend - an einem mit Gefäßen überfüllten Tisch und blickt dem Betrachter sinnend entgegen. Kostbares Geschmeide liegt auf ihrem Schoß, eine Perlenkette entgleitet ihrer Hand. Ein Junge vor ihr hält eine Muschel in der Hand, aus der er Seifenblasen bläst. Ein hinter ihm stehendes Mädchen legt ihre Hände auf seine Schultern und schaut ihm zu.
 
Wollte man es bei dieser Beschreibung bewenden lassen, so hätten wir ein lebendig komponiertes Familienbildnis vor uns. Tatsächlich wurde das Gemälde früher als Bildnis der Familie des Rubens betrachtet. Abgesehen von guten Gründen, die dieser Behauptung widersprechen, gibt es viele Motive, die die Darstellung aus der Sphäre alltäglicher Lebensumstände herausheben und sie in eine andere Bedeutungsebene verweisen.
 
Im Mittelpunkt des Bildes steht ein Motiv, das in der niederländischen Malerei und Graphik eine große Rolle spielt, das "Memento mori", das Denken an den Tod, das Erinnern an den flüchtigen Glanz alles Irdischen. Die Erkenntnis "Homo bulla" - der Mensch ist wie eine Seifenblase - wird in vielfach abgewandelter Form künstlerisch gestaltet, in diesem Falle wie ein scheinbar zufälliger Vorgang in einem bürgerlichen Milieu.
 
Auf einem 1594 datierten Kupferstich von Hendrik Goltzius sieht man ein mit Seifenblasen spielendes Kind, das sich auf einen Totenschädel stützt, vor einer rauchenden Urne. Der beigefügte Text trägt die Überschrift ,,Quis evadet?" - Wer kann entrinnen? So deutlich liebt man es in der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht mehr. Die Sprache der Bilder bedient sich - jedenfalls in Antwerpen - eines dezenteren Vokabulars. Für das, was am Menschen vergänglich ist wie Ruhm, Macht, Reichtum - auch das Kunstsammeln wird nicht vergessen - verwendet Cornelis de Vos gängige Metaphern, die er freilich durch ihre dingliche Genauigkeit fast ihres Symbolcharakters entkleidet. Dabei trägt die Anhäufung der kostbaren Gegenstände auf dem Tisch, von dem sie herunterzufallen drohen, schon den Zusammenbruch in sich. Musikinstrumente und Noten liegen bereits am Boden, zusammen mit Spielkarten als Zeichen leichtfertiger Zerstreuung. Die Münzen, die auf großen Reichtum hinweisen, quellen aus einem Sack am Boden, auf die der Junge seinen Fuß setzt.
 

Unter den goldenen Pokalen und Schüsseln befinden sich Krone und Szepter, die Insignien politischer Macht. Ähnliche Goldschmiedearbeiten sieht man auf einem Emblem von Roemer Visscher, das in seinem 1614 in Amsterdam erschienenen Buch "Sinnepoppen" enthalten ist. Unter dem Motto "Ad Tragoedias, non ad Vitam" (Für Tragödien bestimmt, nicht für das Leben) erklärt das Epigramm, daß kostbare Gefäße dieser Art für das tägliche Leben ungeeignet sind, vielmehr zu Streit, Zwietracht und Mißtrauen führen. Das Gemälde von Cornelis de Vos bietet keinen direkten Anhalt für eine solche Interpretation, sondern verweist in allen Teilen immer wieder auf die Vergänglichkeit alles Irdischen. Das schließt auch die Künste ein, repräsentiert durch die chinesischen Schalen vorne rechts, den Prunkschrank im Hintergrund mit der Büste eines Dichters (?) und die Musikinstrumente. Als eine der Quellen für diese Metaphern dürfte die Bibel mit den Versen des Predigers Salomo (2. Kapitel, 8-11) in Betracht kommen:
 
,,Ich sammelte mir auch Silber und Gold und von den Königen und Ländern einen Schatz; ich schaffte mir Sänger und Sängerinnen und die Wonne der Menschen, allerlei Saitenspiel; und nahm zu über alle, die vor mir zu Jerusalem gewesen waren; auch blieb meine Weisheit bei mir; und alles, was meine Augen wünschten, das ließ ich ihnen und wehrte meinem Herzen keine Freude, daß es fröhlich war von aller meiner Arbeit; und das hielt ich für mein Teil von aller meiner Arbeit.
Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand getan hatte, und die Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war es alles eitel und Haschen nach Wind und kein Gewinn unter der Sonne".
 
Eines der wenigen mit Cornelis de Vos thematisch vergleichbaren Bilder, das ganz und gar akademisch konzipierte Vanitas-Stilleben des Amsterdamer Malers Jan van der Heyden (1637- 1712) in der Wiener Akademie, zeigt im Vordergrund eine bei den Sprüchen Salomos aufgeschlagene Bibel. Auch hier handelt es sich um einen großen Raum, in dem im Hintergrund ein Barockschrank zu erkennen ist. Auf einem allegorischen Gemälde des Pieter Bol von 1663, das mit zahlreichen Symbolen auf die Vergänglichkeit der Macht, des Reichtums, aber auch der Künste verweist, ist ein kostbar, verziertes Möbelstück sogar auf einem Sarkophag abgestellt, der die Inschrift trägt "Vanitati S." (Opfer der Eitelkeit).
 
Eine vergleichbare Anhäufung von Werken der Gold- und Silberschmiedekunst wie bei de Vos ist sonst nur auf den frühen Stilleben von Willem Kalf (1619-1693) zu finden und auch auf Bildern des Rotterdamer Malers Francois Rijkhals (um 1600-1647), der vielleicht sein Lehrer war. Auch bei diesen Darstellungen handelt es sich um Sinnbilder der Vergänglichkeit.
 
Alle hier genannten Beispiele der Malerei haben allerdings gemeinsam, daß sie auf die Einbeziehung von Menschen verzichten. Insoweit nimmt die Braunschweiger Allegorie von Cornelis de Vos durchaus eine Sonderstellung ein. Gerade auch die Hinwendung der Frau zum Betrachter, ihre meditierende Haltung, kennzeichnet ihre Bedeutung für das Bild, das die Begrenzung des Menschenlebens in seiner Beziehung zu Macht und Reichtum symbolisieren soll.

  


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