ALLEGORIE


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JOHANNES SCHILLING (1828 - 1910) / KARL WEISBACH (1841 - 1905): NIEDERWALDDENKMAL (1877 - 83) 

Bronze, Höhe: 10,5 m, Unterbau: 25 m
Niederwald bei Rüdesheim, Rhein

 


 

  


 

Schon vom Rhein her, der 225 m tiefer zu Füßen des Denkmals fließt, ist bei klarem Wetter die monumentale Statue von insgesamt 38 m Höhe sehr gut zu erkennen. Sie steht auf einer Bergnase des Niederwaldes.
 

Als 1871 der deutsche König zum deutschen Kaiser gekrönt wurde, war die langersehnte Einigung Deutschlands erbracht. Sogleich wurden Vorschläge für den Bau eines National-Monuments veröffentlicht, ebenso für den Standort der Höhenrücken des Niederwalds über Rüdesheim. Der erste Spendenaufruf für dieses National-Denkmal wurde gestartet. Im Februar 1872 rief das Komitee alle Künstler Deutschlands zu einem Ideenwettbewerb auf. Schließlich erhielt Johannes Schilling den Zuschlag. Am 16. September 1877 fand in Anwesenheit des Kaisers die feierliche Grundsteinlegung statt. Zwei Jahre später waren Sockel und Terrasse des Denkmals fertiggestellt. Die ersammelten Gelder waren jedoch fast aufgebraucht. Um die Arbeiten fortsetzen zu können, war ein Staatszuschuß notwendig geworden. Durch einen Zuschuß von 400.000 Goldmark konnten die Arbeiten fortgeführt werden.

 

Das Hauptobjekt, die Germania, wurde bei Ferdinand Miller gegossen. Vier weitere Jahre dauerte die Fertigstellung des Monuments. 
 
Bismarck war von der Konzeption des Denkmals wenig angetan. Kaiser Wilhelm I. jedoch fand Gefallen daran und versprach, bei der Einweihungsfeier am 28.09.1883 anwesend zu sein. Dieses Fest wurde in Rüdesheim drei Tage lang gefeiert.

 

Alle wichtigen Teile des Denkmals konzentrieren sich auf die ''Schaufront'', die dem Rhein zugewandt ist. Hauptfigur ist die 'Germania', ein Bronzeguß von 32 t Gewicht. Auf ihrem Haupt prangt ein Kranz aus Eichenlaub über dem im Wind scheinbar bewegten Haar. In ihrer rechten hält sie die 1 m hohe Kaiserkrone und einen Lorbeerkranz. Lorbeeren umwinden auch das gesenkte Schwert in der anderen Hand, das bei über 7 m Länge allein 1,4 t wiegt. Das Oberteil ihres Gewandes wird von dem Reichsadler verziert. Beiderseits vom eisernen Kreuz erinnern Kränze an den Ruhm des Sieges und die Trauer über die Opfer des Krieges. Darunter prangt der imponierende Reichsadler, 2,5 m hoch und 1,15 t schwer. Rechts und links schließen sich die Wappen der damaligen Bundesstaaten an. Eine Stufe tiefer stellen zwei Engelsfiguren den Krieg - mit Fanfare und Schwert - und den Frieden dar. Den 'Friedensengel' schmückt ein Blumenkranz, in der Rechten hält er einen Lorbeerzweig und in der Linken ein Füllhorn. Diese Figuren sind 6,8 m hoch und wiegen je 6,75 t. 
Das figurenreiche Hauptrelief ist 10,78 m lang und 2,62 m hoch. Es zeigt 190 Personen in Lebensgröße, von denen 123 Persönlichkeiten an ihren Gesichtern zu identifizieren sind. Dieses größte Relief des 19. Jh. zeigt die deutschen Fürsten und ihre Heerführer. Sie versammeln sich symbolisch um ihren Oberbefehlshaber und späteren König - hoch zu Roß. Direkt neben dem König steht Fürst Otto von Bismarck. Neben dem Kanonenrohr ganz links sind auf einer Tafel die Noten für das Lied ''Die Wacht am Rhein'' eingemeißelt, mit dem 1870 die Soldaten gegen Frankreich gezogen waren. Unterhalb sind die symbolischen Figuren des Rheins und seiner Tochter der Mosel. Hinter den Engelsfiguren verbergen sich zwei weitere Reliefs, auf denen der Beginn und das Ende des Krieges dargestellt sind. An die Gefallenen sollen die Palmenzweige an den Sockelbauten erinnern, ebenso wie die Inschrift an der Terrassenmauer, die bedeutsame Worte des Kaiser Wilhelms I. von der Grundsteinlegungsfeier zitiert. 

 

Liedtext: Die Wacht am Rhein

 

Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein:
Wer will des Stromes Hüter sein? 
 
Durch Hunderttausend zuckt es schnell,
und aller Augen blitzen hell:
Der Deutsche, bieder, fromm und stark,
beschirmt die heil' ge Landesmark. 
 
Er blickt hinauf in Himmelsaun,
wo Heldenväter niederschaun,
und schwört mit stolzer Kampfeslust:
Du Rhein bleibst deutsch wie meine Brust! 
 
Solang ein Tropfen Blut noch glüht,
noch eine Faust den Degen zieht,
und noch ein Arm die Büchse spannt,
betritt kein Welscher deinen Strand! 
 
Der Schwur erschallt, die Woge rinnt,
die Fahnen flattern hoch im Wind.
Am Rhein, am Rhein, am deutschen Rhein!
Wir alle wollen Hüter sein! 
 
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
fest steht und treu die Wacht,
die Wacht am Rhein. 
 
Max Schneckenburger

 


 

Im Geiste des neu errichteten Kaiserreiches wurde bei Rüdesheim über dem Rhein das Niederwalddenkmal in den Jahren 1877 bis 1883 von Johannes Schilling (1828-1910) und Karl Weisbach (1841-1905) errichtet. Hier geht es eindeutig um Demonstration des neuen Machtgefühls. „Diese Germania ist eine Verbindung der alten Schlachtenjungfrau (Walküre) mit der das allumfassende Vaterland versinnlichenden deutschen Mutter", schreibt Meyers Konversationslexikon 1897. Dementsprechend schwülstig erscheint vielen heute das Denkmal. Auch hier gab es Denkmalkomitees, Geldsammlungen bei Gesang-, Turn- und Kriegervereinen sowie bei Schülern und Studenten, schließlich auch bei den Fürsten und der Reichsregierung.
 

Die Germania wurde, versehen mit den Attributen von Krone und Schwert, von dem Bildhauer Johannes Schilling als Allegorie auf den kleindeutschen Nationalstaat geschaffen. Ohne den extensiven Sockelbau des Architekten Karl Weisbach und die damit verbundenen Reliefdarstellungen, plastischen Allegorien und Inschriften ist die Germania in ihrer oben genannten Bestimmung nicht zu erkennen. Während die militärisch monarchischen Reichsattribute der Germania lediglich über den politischen Anspruch und die Herrschaftsform etwas aussagen, gibt das zentrale Sockelrelief und die Flußallegorie Auskunft über die nationalstaatliche Zusammensetzung des Kaiserreiches: In dem Sockelrelief zeigt sich Wilhelm I. hoch zu Roß, Bismarck zur Seite und Ludwig H. von Bayern in unmittelbarer Nachbarschaft, im Mittelpunkt derjenigen deutschen Fürsten, die dem kleindeutsch-preußischen Nationalstaat beigetreten waren. Die Flußallegorie "Begegnung des alten Vater Rhein mit der jungen Tochter Mosel" symbolisiert die alte [...] und die neue Grenzlinie zu Frankreich., sie symbolisiert aber zugleich die Genese des Rheins zum ersten deutschen Hauptstrom.

(Scharf, S. 212)

Bei allem prunkhaftem Glanz zeigten sich schon am Tage der Einweihung des Niederwalddenkmals die aufkommenden sozialen Probleme im neuen Kaiserrreich. Es war ein Attentat auf den Kaiser geplant und vorbereitet. Wegen des feuchten Wetters explodierte das Dynamit jedoch nicht; die Attentäter wurden gefaßt und hingerichtet.

 

Dem pathetisch-eklektizistischen Stil des Niederwalddenkmals folgten viele Denkmäler für die Gefallenen der Einigungskriege, viele Kaiserdenkmäler (Porta Westfalica, Kyffhäuser, Hohensyburg bei Dortmund, Deutsches Eck in Koblenz) und die über hundert Bismarckdenkmäler, die noch vor der Jahrhundertwende meist als Bismarcktürme in ganz Deutschland und in den Kolonien (!) aufgestellt wurden. Das künstlerisch bedeutendste Bismarckdenkmal, das von Hugo Lederer in Hamburg, gehört von der Bauzeit, aber auch von seiner Gestaltung her schon ins neue Jahrhundert. Nationalpreußische Vorstellungen haben Gestalt gewonnen in der Siegessäule, die Johann Heinrich Strack 1865-1873 im Berliner Tiergarten errichtete. Dort wurde auch die im zweiten Weltkrieg weithin zerstörte Siegesallee angelegt. Sie griff auf die brandenburg-preußische Dynastie als die Ahnen der Siege von 1870/71 zurück. Bei der Eröffnungsfeier 1901 hielt Kaiser Wilhelm II. eine Rede, in der er die Künstler lobte, die die Siegesallee geschaffen hatten. Er distanzierte sich bei dieser Gelegenheit von anderer Gegenwartskunst und erhob seine eigenen Vorstellungen zum Maßstab aller Kunst. So mußte sich sogleich der Widerspruch regen. Ferdinand Avenarius (1856-1923), der Gründer des Dürerbundes und Herausgeber des „Kunstwarts", zur Siegesallee:

 

Stimmen, die dagegen sprachen, Stimmen, die auch das Unkünstlerische der ganzen Anlage zeigten, wurden nicht gehört. Und so ward mit der Siegesallee wiederum nicht Kunst als Lebensvermittlerin gebildet, sondern Dekoration und Scheinkunst zu einem politischen Zweck, zur Verherrlichung der Dynastie, und zwar ohne Auswahl unter ihren Gliedern, ohne Rücksicht darauf, ob der einzelne einer Verherrlichung oder der Vergessenheit im Volke wert war.  [...] Es kam auch zu keinem Dementi, als später behauptet wurde, die künstlerisch völlig verunglückten Jubiläumsgedenkmünzen, die neuen Briefmarken, ja die Jahrhundertspostkarten hätten die Billigung seiner Majestät gefunden. Da sich's, besonders bei den Briefmarken, trotz ihrer Kleinheit um sehr wichtige Äußerungen der deutschen Kunst handelte, so ar jedenfalls nicht ohne weiteres anzunehmen, daß dem Kaiser diese Entwürfe nicht vorgelegen hätten.

(Kammerlohr - Epochen der Kunst, Bd. 4: 19. Jahrhundert. Oldenbourg, München und Wien 1994, S. 147f.)

   


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