ALLEGORIE

 

Alfred Rethel (1816 - 1859): Auch ein Totentanz (1849)

Holzschnittfolge (fünfaktige Tragödie mit Vorspiel), Begleitverse von Robert Reinick

 

Vorspiel Du Bürger und Du Bauersmann,
Schaut recht Euch diese Blätter an!
Da seht ihr nackt und ohne Kleid
Ein ernstes Bild aus ernster Zeit.
Wohl kommt so mancher zu Euch her,
Als ob's ein neuer Heiland wär,
Und spricht von Macht und Herrlichkeit,
Die er für alle hat bereit;
Ihr glaubt es ihm, weil's Euch gefällt -
Schaut her, wie es damit bestellt.

 

Erstes Blatt "Freiheit, Gleichheit und Brudersinn!
Du alte Zeit, fahr hin! fahr hin!" - 
Solch Schrei durchzieht der Völker Rund,
Da tut sich auf der Erde Grund;
Es steigt herauf ein Sensenmann.
Der merkt: ein Erntetag bricht an.
Und wie er steigt ans Licht hervor,
Drängt sich um ihn ein Weiberchor,
Sein Rüstzeug bringen sie heran,
Dass er sein Werk vollenden kann.
Gerechtigkeit gebunden ist -
Das Schwert stahl ihr die schlaue List,
Die Lüge nahm die Wag ihr fort,
Sie bieten's dem Gesellen dort.
Den Hut reicht ihm die Eitelkeit,
Die Tollheit hält ihr Ross bereit,
Die Blutgier bringt die Sense her,
Das ist des Schnitters beste Wehr! - -
Ihr Menschen, ja! nun kommt der Mann,
Der frei und gleich Euch machen kann.

  

Zweites Blatt Der Morgen schaut vom Himmelszelt
So klar wie sonst auf Stadt und Feld;
Da trabt mit wilder Hast heran
Der Freund des Volks, der Sensenmann.
Zur Stadt lenkt seinen Gaul er hin,
Schon ahnt er reiche Beute drin.
Die Hahnenfeder auf dem Hut
Glüht in der Sonne rot wie Blut,
Die Sense blitzt wie Wetterschein,
Es stöhnt der Gaul, die Raben schrein!

 

Drittes Blatt Er ist am Ziel. - Sieh, gleich am Tor
Die Schenk und mancher Gast davor;
Beim Branntwein, frecher Lieder Klang,
Und wüst Gelächter, Spiel und Zank! -
Er tritt heran mit schlauem Blick
Und ruft: "Aufs Wohl die Republik!" -
"Was gilt noch eine Krone viel?
Nicht mehr als wie ein Pfeifenstiel.
Zum Spass will ich's beweisen Euch
Gebt Acht!" - Er holt die Wage gleich!
Hält sie am Zünglein, statt am Ring, -
Sie merkens nicht, sie freut das Ding, -
Sie schrein: "Das ist der rechte Mann!
Dem folgen wir, der führ uns an!" - -
Du blindes Weib, was schleichst du fort?
Siehst mehr du, als die andern dort - - ?

 

 

 

Viertes Blatt Freiheit, Gleichheit und Brudersinn!
Der Schrei wälzt durch die Stadt sich hin.
"Zum Rathaus!" - Horch, der Steinwurf saust,
"Hoch Republik!" - Die Flamme braust. -
"Zum Markt! Zum Markt!! Da steht er schon
Der Held der Revolution!
Hört ihn!" - - Stumm alles wie ein Grab.
Er aber reicht ein Schwert herab
Und hält es allem Volk bereit -
Die List nahm's der Gerechtigkeit -
Er schreit! "Du Volk! Dies Schwert ist Dein!
Wer sonst kann richten? Du allein!
"Blut! Blut!" viel Tausend Kehlen schrein.

 

Fünftes Blatt "Zur Barrikade!" - - "Pflaster auf!!" - -
Da steht der Bau - und oben drauf
Er, den zum Führer sie ernannt,
Die blutge Fahn in fester Hand! -
Kartätschen pfeifen, hei! das kracht.
Sie stürzen rings, er aber lacht:
"Jetzt lös ich mein Versprechen Euch:
Ihr alle sollt mir werden gleich!"
Er hebt sein Wams, und wie sie's schaun,
Da fasst ihr Herz ein eisig Graun.
Ihr Blut strömt, wie die Fahne rot;
Der sie geführt, - es war der Tod!

 

Sechstes Blatt

 

Der sie geführt, es war der Tod!
Er hat gehalten, was er bot.
Die ihm gefolgt, sie liegen bleich. -
Seht hin, die Maske tat er fort!
Als Sieger hoch zu Rosse dort,
Zieht, der Verwesung Hohn im Blick,
Der Held der roten Republik.
Als Leichen - ja! da sind wir gleich!
Nicht hoch noch tief, nicht arm noch reich
O Freiheit, wer führt dich herbei?
Nicht Mord und nicht der Laster Schrei.
Nur wann erstickt der Selbstsucht Glühn,
Wirst Du in Herrlichkeit erblühn! -
Und Gleichheit! Bringt sie nur der Tod?
Nein! Allen strahlt ein Morgenrot.
Ja, glaubt, die Guten sind sich gleich
Ob hoch, ob tief, ob arm, ob reich.
Du Bruderliebe, Bürgerhort,
Der reinsten Lehre reinstes Wort!
Geschändet hat man Dich, entehrt,
Zur Mörderfackel Dich verkehrt;
Vom Himmel nahmst Du Deinen Lauf,
Zum Himmel flamme freudig auf
In reiner Tat, ein heilger Brand!
So segne Gott das Vaterland!

 

 

Der Kunsthistoriker Richard Hamann vergleicht in seiner 1932 erschienenen "Geschichte der Kunst" das sechste Blatt der Holzschnittfolge mit dem Gemälde "Die Freiheit führt das Volk" (1830) von Eugène Delacroix:

 

"Rethel schildert dieselbe Situation im Holzschnitt, auch nicht ohne altertümliche Technik - von den Nazarenern herkommend, wählt er Dürers Holzschnittmanier - und nicht ohne Allegorie: Der Anführer des aufrührerischen Volkes ist der Tod selber in seiner knöchernen Gestalt. Aber diese Technik entspricht dem Volk und seinen Taten, sie ist selber volkstümlich, derb, einfach, zuhauend und schlagkräftig; jeder Strich sitzt. Und der Tod ist selber ein Volksmann, ein wilder Geselle und Hetzer - kein Augenschmaus, sondern notwendiges Glied im Ganzen. Das Blatt will Revolutionsplakat sein und wie jedes Revolutionsplakat nicht Wahrheit, sondern Wirkung, nicht Tatsächliches, sondern Radikales, nicht Zustände sondern Ideen geben. Diese Idee ist nun freilich eine andere als in Frankreich; es ist letzten Endes die, daß das Volk, das die Freiheit seiner Gedanken und die Friedfertigkeit seiner Arbeit, kurzum seine Menschlichkeit zur Geltung bringen will, sich selbst das Grab gräbt, wenn es dies mit den Waffen in der Hand tut. Es ist eine Absage an den Revolutionsoptimismus der Franzosen, aber deshalb in der Gesinnung viel stärker neue Zeit und neunzehntes Jahrhundert und in der Form restlos und echt."

 

Friedrich Rothe äußerte sich in dem 1972 erschienenem Katalog der NGBK Berlin zur Ausstellung "Kunst der bürgerlichen Revolution von 1830 bis 1848/49" folgendermaßen (S. 145):

 

"Im Verlauf der Revolution zeigt sich Rethel als ideologischer Vertreter dieser liberalen Bourgeoisie, wenn er mit seinem Holzschnittzyklus "Ein Totentanz aus dem Jahre 1848" alle demokratischen Forderungen, die über die nach der Einheit Deutschlands hinausgingen, im wahrsten Sinne verteufelte. Rethel stellt den Tod mit roter Hahnenfeder an seinem Hut als Agitator der "rothen Republik" dar, in der Freiheit, Gleichheit und "Brudersinn" herrschen sollen. Mit diesen Forderungen hat der Tod jedoch nichts anderes im Sinn, als das Branntwein trinkende Volk vor die Gewehre der Konterrevolution zu führen, die mit ihren Kugeln das Versprechen der Gleichheit und Brüderlichkeit einlöst. Mit diesem Zyklus schuf Rethel der Konterevolution ein Kunstwerk, das sie bis in die Zeit des Faschismus im ideologischen Kampf eingesetzt hat."

 

 


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