I QUATTRO LIBRI DELL'ARCHITETTURA

Vorwort an den Leser

 

VON EINER natürlichen Begabung angeregt, widmete ich mich seit meinen frühesten Jahren dem Studium der Architektur. Und da ich seit jeher der Ansicht war, daß die alten Römer - wie auch in vielen anderen Dingen, so auch im Bauen - all jenen, die nach ihnen kamen, um vieles voraus waren, wählte ich Vitruv zu meinem Meister und Führer. Er ist der einzige antike Schriftsteller, der über diese Kunst geschrieben hat, und ich begann die Überreste der antiken Bauten, die trotz der Witterungseinflüsse und der Rohheit der Barbaren erhalten geblieben sind, zu erforschen. Ich fand sie eingehenderer Betrachtung für würdiger, als ich zunächst angenommen hatte, und so begann ich mit größtem Fleiß, einen jeden Teil daran auf das genaueste zu vermessen, so daß ich recht bald zu einem Forscher wurde, der nichts vorfand, was nicht mit Verstand und in schönem Ebenmaß geschaffen worden war. Und so geschah es nicht nur einmal, sondern sogar mehrmals, daß ich mich in andere Teile Italiens und in andere Länder aufmachte, um von dem, was einmal ein Ganzes gewesen war, alles zu begreifen und mit dem Zeichenstift aufzunehmen.

So erkannte ich, wie weit unsere allgemeine Bauweise von dem, was ich bei Vitruv, Leon Battista Alberti und in den Werken anderer hervorragender Schriftsteller, die nach Vitruv kamen, gelesen hatte, entfernt ist. Und da die übliche Bauweise auch von dem abweicht, was ich wiederholt mit Befriedigung und dem Lob derer, die sich meines Werks bedienten, angewendet habe, schien es mir eines Menschen, der nicht nur für sich selbst handeln soll, sondern auch zum Nutzen der anderen geboren ist, würdig, die Zeichnungen jener Bauten ans Licht zu bringen, die ich in langer Zeit und unter zahlreichen Gefahren zusammengetragen habe, und kurz festzuhalten, was mir an ihnen der Betrachtung wert erschien. Darüber hinaus schien es mir schicklich, jene Regeln, die ich beim Bauen befolgt habe und weiterhin befolge, aufzuschreiben, damit jene, die meine Bücher lesen werden, sich all des Guten, was darin geschrieben steht, bedienen, und sie an den Stellen, deren es vielleicht eine große Zahl geben wird, ergänzen können, an denen ich gefehlt habe. Damit man nach und nach lernt, die seltsamen Mißbräuche, die barbarischen Einfälle, die überflüssigen Ausgaben zu verhindern und, was am wichtigsten ist, die zahlreichen und wiederholt auftretenden Ruinen, zu denen man viele Bauten verfallen sieht, vermeidet. Und diesem Unternehmen habe ich mich mit um so größerem Vergnügen hingegeben, als dies, wie ich bisher feststelle, auch viele andere Gelehrte dieses Berufs taten, von denen Giorgio Vasari, ein einzigartiger Maler und Architekt, in seinen Büchern würdig und ehrenvoll schreibt. Das läßt mich hoffen, daß die Kunst des Bauens für den allgemeinen Nutzen zu jenem Grad der Vervollkommnung gelangt, der in allen Künsten angestrebt wird und dem man in diesem Teil Italiens sehr nahe zu sein scheint. Nicht nur in Venedig, wo alle schönen Künste blühen und das als einziges Beispiel der Größe und Herrlichkeit der Römer geblieben ist, sieht man gute Gebäude, seit Giacomo Sansovino als Bildhauer und Architekt von großem Ruf, als erster die schöne Bauweise bekannt machte, wie man, viele andere schöne Bauten von seiner Hand hintanstellend, in den "Neuen Prokuratien" sieht, die das reichste und verzierteste Gebäude sind, das seit der Antike errichtet wurde. Aber auch an vielen anderen Orten von geringerer Bedeutung, besonders in Vicenza, einer Stadt von nicht sonderlich großem Umfang, aber reich an edlen und kundigen Männern und angefüllt mit zahlreichen Reichtümern, und wo ich zum ersten Mal Gelegenheit hatte, das auszuführen, was ich jetzt, dem allgemeinen Nutzen dienend, veröffentliche. Dort sieht man zahlreiche schöne Gebäude, und viele edle Männer zählen dort zu den Gelehrten jener Kunst, die aufgrund ihrer Vortrefflichkeit und ihres einzigartigen Wissens nicht unwürdig sind, unter den Hervorragendsten genannt zu werden; so Giovan Giorgio Trissino, Glanz unserer Zeit, die Grafen Marc' Antonio und Adriano Thiene, der Cavaliere Antenore Pagello und außer diesen, die nach ihrem Tode mit den schönen und geschmückten Bauten ein ewiges Andenken von sich hinterlassen haben, leben dort zurzeit der in zahlreichen Dingen bewanderte Fabio Monza, Elio de' Belli, Sohn des Valerio, der für seine Kameen und seine Kristallschnittkunst bekannt ist, Antonio Francesco Oliviera, der über seine Kenntnis vieler Wissenschaften hinaus ein vorzüglicher Architekt und Dichter ist, wie er in seinem Heldengedicht "Alemana" und durch sein Haus in Boschi di Nanto, im Vicentinischen, gezeigt hat. Schließlich ist da noch, neben vielen anderen, die allen Anlaß geben würden, in diesem Zusammenhang genannt zu werden, Valerio Barbarano, eifriger Beobachter all dessen, was mit diesem Beruf zusammenhängt.

Um aber auf unser Thema zurückzukommen; da ich nun diese Ergebnisse meiner Bemühungen veröffentlichen will, die ich seit meiner Jugend darauf verwandt habe, um mit größtmöglichem Fleiß all jene antiken Gebäude, die zu meiner Kenntnis gelangt sind, zu erforschen und auszumessen, und da ich bei dieser Gelegenheit in aller Kürze, jedoch so geordnet und gesondert, wie es mir möglich ist, von der Architektur handeln will, hielt ich es für angebracht, mit den Häusern der Bürger zu beginnen; denn man darf annehmen, daß jene die Voraussetzung für die öffentlichen Bauten darstellen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Mensch zunächst für sich wohnte, dann aber die Notwendigkeit der Hilfe durch die anderen Menschen erkannte, um jene Dinge zu erreichen, die ihn glücklich machen können (wenn es denn hier unten irgendwelches Glück zu finden gibt), und daß er natürlich die Gesellschaft anderer suchte, weshalb aus vielen Häusern die Dörfer, und aus vielen Dörfern die Städte entstanden und in diesen die öffentlichen Plätze und Bauten. Zudem ist von allen Aufgaben der Architektur keine für den Menschen notwendiger noch häufiger genutzt als diese. Ich werde also zunächst von den Privathäusern handeln, komme anschließend zu den öffentlichen Bauten und werde dann kurz von den Straßen, den Brücken, den Plätzen, den Gefängnissen, den Basiliken, das heißt den Orten, wo Recht gesprochen wird, den Xysten, den Palästren, wo die Menschen ihren Körper ertüchtigten, den Tempeln, den Theatern, den Amphitheatern, den Bögen, den Thermen, den Aquädukten und schließlich von der Art handeln, wie Stadt und Tore befestigt werden. Und in allen diesen Büchern werde ich die Weitschweifigkeit meiden und lediglich jene Hinweise geben, die mir am notwendigsten erscheinen, und ich werde mich der Ausdrücke bedienen, die die Bauleute heutzutage allgemein benutzen. Und da ich von mir selbst nicht mehr versprechen kann als viel Mühe, großen Fleiß und Liebe, die ich aufgewandt habe, um das zu verstehen und zu bewerkstelligen, was ich versprochen habe, werde ich nicht umsonst gearbeitet haben, wenn es Gott gefällt. Und ich danke seiner Güte von ganzem Herzen. Dabei bin ich all jenen verbunden, die mit ihren Einfällen und Erfahrungen Regeln für jene Kunst aufgestellt haben und so den Weg zur Erforschung neuer Dinge einfacher und hilfreicher gemacht haben. Ihnen ist es zu verdanken, daß wir Kenntnis von vielem haben, was sonst verborgen geblieben wäre.

Der erste Teil wird in zwei Abschnitte unterteilt sein. Der erste handelt von der Zubereitung der Materialien und, wenn das geschehen ist, davon, wie und in welcher Form das Werk von den Fundamenten bis zum Dach errichtet wird. Dabei gelten jene allgemein gültigen Vorschriften, die in allen Bauten, öffentlichen und privaten, berücksichtigt werden müssen. Im zweiten Teil werde ich von der Eigenart der Bauten handeln und wie sie den verschiedenen Ständen entsprechen. Dabei spreche ich zunächst von denen der Stadt und anschließend von den angemessenen und zweckmäßigen Orten für die Villen und wie sie aufgeteilt werden müssen. Da wir hierfür nur sehr wenige antike Beispiele haben, deren wir uns bedienen können, werde ich die Grund- und Aufrisse vieler Bauten vorstellen, die ich für verschiedene edle Männer errichtet habe, wie auch die Zeichnungen der Häuser der Antike sowie ihrer wichtigsten Teile. Das geschieht in der Art, in der Vitruv es uns lehrt und in der die Alten ihre Bauten ausführten.