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Zwischen Elm und Asse - Das gemalte Nichts
Katalogtext von Marianne Winter zur Ausstellung
einer Serie von Landschaften in der Galerie Kirchencampus, Wolfenbüttel (27. Juni bis 20. Oktober 2000)
Immer, wenn ich Michael Benning besucht habe, sehe ich meine ländliche Umgebung neu. Ein Arkadien tut sich auf: Der Himmel erscheint voller farbiger Wolken, die Felder so satt und fruchtbar, Feldwege und Furchen von landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen ziehen bis an den Horizont, der in der Ferne so nah erscheint. Bäume und Büsche ordnen sich nach Kugel, Kegel und Zylinder, um es Cézanne recht zu machen.
Dort, wo nichts als Gegend ist, nun Motive über Motive. Man braucht sie nur zu malen. Dürer hat Recht, wenn er sagt: "Die Kunst steckt in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie." Das Wort "Reißen" ist die alte Form für "Zeichnen". Aber ist es nicht viel treffender als das glatte "Zeichnen"? Michael Benning hat sie durch seine Wahrnehmung herausgerissen und verwandelt. "Schöne Bilder machen" nennt er das und "Himmelchen malen". Tatsächlich sind seine Landschaftsbilder in erster Linie eine Hommage an den Himmel. Sie beginnen immer mit dem Himmel. Auch wenn er zum Schluss nur eine kleine Bildfläche ausmachen sollte, ist er die Seele des Motivs. Was in den Wolken geschieht, Formbildung, Farbwandlung, Stimmung ist die Wahrheit, ein Wunder, dessen Faszination ihn in den Bann zieht und den Betrachter umso mehr verblüfft, als es unsere Braunschweiger Himmel sind. Kein Nordlicht, keine provençalische Sternennacht, kein Sonnenuntergang am Meer oder Gewitter im Riesengebirge.
Lügen können hingegen Landschaftsbereiche im Bild sein. Da werden Teile fortgelassen oder verdichtet zugunsten des Gesamteindrucks. SCHÖN und LÜGE sind Begriffe, die zu Eckpfeilern seiner Kunst geworden sind. Schön, im Sinne von Harmonie und Wohlklang sind sie zweifellos, aber trotz formaler "Lüge" bleiben sie grundehrlich, ohne Arabesken und schmissige Gags.
Michael Benning, der Einsiedler aus Salzdahlum, hat sich die Welt in sein Haus geholt. Wie Morandi, der große Maler einfachster Stillleben, der Bologna nicht verlassen hat, verreist er nie. Unter dem Dach seiner Arbeitshöhle lebt er inmitten eigener Werke. Einmal täglich umrundet er den Ort und hält mit der Kamera die längst vertraute Umgebung fest. Diese reale Welt kennt er bis ins kleinste Detail auswendig, immer wieder wach für die Wandlungen durch Licht, Wetter und Jahreszeiten. Im Atelier malt er ohne Zeitbegriff und Unterbrechung an zwanzig Bildern gleichzeitig, aber "jedes so, als gäbe es kein anderes auf der Welt".
Mit einer Skizzenauswahl, die aus einer Sammlung von 5000 Fotos genau den Bildausschnitt festlegt, und Kästen sorgfältig geordneter Ölpastellkreiden beginnt die Umwandlung der Eindrücke zwischen Asse und Elm, zwischen Schönmalerei und Lüge zur imaginären Eigenwelt, die immer wieder um das eine Motiv kreist: der Baum und die Feldmark zwischen Asse und Elm, das Blickfeld seines Fensters. Eigentlich würde ihm schon dieser Ausschnitt genügen, der Himmel, der Baum, Getreide, Rüben, die gar nicht das sind, was sie scheinen, nur aussehen wie Bäume, wie Blätter, immer nur malend zur realistischen Illusion gelogen, als Zeichen erfunden.
Sein Ziel ist das Nichts in der Landschaft, die Fläche ohne Sensationen, die Elementarisierung der gegenständlichen Bezüge bis zum waagerechten Farbfeld aus Himmel und Erde. Goethe fasst dieses Bemühen mit folgenden Worten zusammen: "Betrachten wir eine Landschaft vom Rubens nur so obenhin, so kommt uns alles so natürlich vor, als sei es von der Natur abgeschrieben. Es ist aber nicht so. Ein so schönes Bild ist nie in der Natur gesehen worden. Der Künstler will zur Welt durch ein Ganzes sprechen. Dieses Ganze aber findet er nicht in der Natur, sondern es ist die Frucht seines eigenen Geistes." Adorno definiert es als die Fähigkeit, mehr an den Dingen wahrzunehmen als sie sind, der Blick, unter dem, was ist, sich in ein Bild verwandelt.
Diesen Blick, der zur Verwandlung führt, können wir als Betrachter in den Bildern entdecken. Benning weckt unsere Wahrnehmung. Seine Landschaften sind nicht utopische Räume, in denen sich Phantasien und Träume entfalten, sie verzichten gänzlich auf Lebewesen und narrative Elemente. In ihrer statischen Ruhe und Klarheit sind sie perfekt und erwarten keine Ergänzung durch unsere Phantasie. Stattdessen schärfen sie die Wahrnehmung für das Sichtbare. Und machen Lust auf Farbe. Auf Erdbraun und Saftgrün, auf unzählige Schattierungen des Himmels, vom Blau bis zum Pfirsichrosa, Weiß, Schwarzblau, Grauviolett und Flammenrot, auf das duftende Gelb reifer Kornfelder.
Marianne Winter
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Rezension der Ausstellung"Zwischen lm und Asse"
Galerie Kirchencampus in Wolfenbüttel zeigt Landschaftsgemälde von Michael Benning -
Bewusst zusammengelogene Motive von statischer Ruhe
Von Marianne Winter, in: Braunschweiger Zeitung, 12. Juli 2000
Seit ihrer Gründung hat sich die Galerie im Kirchencampus unter der Ägide von Maria Hauk der vielfältigen Kunstszene um Wolfenbüttel gewidmet und dabei nicht immer nur das Wohlgefallen der Mitarbeiter und Besucher gewonnen. Nun ist mit Michael Benning ein Maler erwählt, der vielen aus dem Herzen spricht. Seine Bilder haben nur ein Thema: die Landschaft zwischen Elm und Asse.
Benning, einst HBK-Meisterschüler von Malte Sartorius, ein vielseitig begabter Zeichner und Objektebauer, befasst sich seit geraumer Zeit mit dem Stadtbild Braunschweigs und taucht mit gleicher Hingabe in die Landschaft der Umgebung ein. Rübenfelder,
Weizenfelder, Wolkenhimmel inspirieren ihn zu immer neuen Variationen niedersächsischer Landschaft.
„Bilder mit nichts drauf" nennt er sie. Je weniger Elemente vorhanden sind, die der Fantasie Geschichten liefern, desto mehr kann er sich Form und Farbe widmen, die er zugunsten der Klarheit zusammenfasst und vereinfacht. Felder bilden waagerechte Flächen, Wege werden zu Diagonalen, Wolken formen organische Schwünge und der Himmel ist ein unerschöpflicher Farbenpool. Zwischen Himmel und Erde liegt Bennings Kosmos. Der Einsiedler aus Salzdahlum meidet Reisen. Ihm genügt die Umgebung des Heimatdorfes. Hier kennt er jede Tages- und Jahreszeit mit den entsprechenden Farb- und Formveränderungen, liebt die Wetterschwankungen mit allen Nuancen von Licht und Schatten, die die Farben beeinflussen und alle Dinge verwandeln.
So lassen sich die vielen Bildserien erklären, die ein Motiv in immer neuen Farbklängen und Stimmungen zeigt, ein Phänomen, das schon Monet zum Malen reizte. Benning hält die fragilen Augenblicke mit der Kamera fest und formt erst im Atelier daraus seine Landschaften. Die sorgfältige Recherche, Festlegung des Bildausschnitts unter Auslöschung alles Vermeidbaren, die Konzentration auf wesentliche Farbklänge machen das Wesen der Bilder
aus.
Hier erst entsteht die Ruhe, die Ausgewogenheit und - es lässt sich nicht übersehen - die Schönheit. Michael Benning weiß um diese Wirkung, spricht vom bewussten Zusammenlügen des Motivs, das es so schön gar nicht gibt. Die Begriffe Schönheit und Lüge sind die Antipoden seiner Bildgestaltung, die dabei grundehrlich und elementar daherkommt. Bennings Landschaften sind nicht utopische Räume, in denen sich fantastische Erzählungen entfalten. Sie verzichten auf Mensch und Tier. In ihrer statische Ruhe und Ordnung sind sie perfekt und erwarten keine Ergänzung durch Gehirnakrobatik.
Aber Benning schärft unsere Wahrnehmung für das Sichtbare und macht Lust auf Farbe: auf Saftgrün und Weizengelb, auf violette Gewitterfarben, Flammenrot, Pfirsichrosa und Azurblau. Wer einmal diese Bilder gesehen hat, wird Wolken und Farben so im Original der Natur entdecken. Seine Bilder sind eine Hommage an den Himmel, dessen ewige Wandlung ihn in den Bann zieht und mit dem er den Betrachter umso mehr verblüfft, als es unser Braunschweigischer Himmel ist.
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