Die Bedeutung der Eßstäbchen

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Die Bedeutung der Eßstäbchen

 

 

Ich weiß nicht, wo die Eßstäbchen eigentlich herkommen und wann sie zum ersten Mal in der chinesischen Geschichte auftauchen. In einer alten Sage heißt es, wir seien einst von den Bäumen herabgestiegen und hätten entdeckt, daß durch Erhitzen auf Feuer Nahrungsmittel genießbarer wurden; weil aber das Gebratene zu heiß war, um es mit den Fingern zu essen, hätten wir Äste und Zweige abgebrochen, um es damit festzuhalten.

 

In der chinesischen Frühgeschichte (3000 bis 100 v. Chr.) waren Kochgeschirre meist solide Eisengefäße auf drei Beinen (man kann sie heute noch im Museum bewundern). Diese Töpfe stellte man einfach über das Feuer. Es sieht ganz so aus, als ob die gierigen Damen und Herren, die Zeuge dieses appetitanregenden Schauspiels waren, nicht warten konnten, bis der Topfinhalt genügend ausgekühlt war (was bei schweren Eisentöpfen ein, zwei Stunden dauert!) und sie hineinlangen konnten. So versuchten sie eben, mit Stäbchen

die besten Stücke für sich herauszufischen.

 

Es klingt durchaus wahrscheinlich, daß solche Umstände zur

Erfindung der Eßstäbchen geführt haben mögen.

 

Die Einführung der Stäbchen in die zivilisierte Gesellschaft aber hat sicherlich etwas mit der erklärten Abscheu des Konfuzius zu tun, der keine Schlachtwerkzeuge (wie Messer und Gabel) an einer Speisetafel sehen wollte. Konfuzius bemerkte dazu, kein »ehrenwerter und aufrechter Mann« könne ein totes Tier ansehen, wenn er es zuvor lebendig gekannt hat. Und wenn er die Geräusche und Schreie beim Schlachten gehört hätte, würde er davor zurückschrecken, von diesem Fleisch zu essen. Weiterhin sagte er, der »aufrechte und ehrenwerte Mann« solle sich stets von Küchen und Schlachthäusern fernhalten.

 

Diese Worte gelten als Beweis dafür, daß der große Weise keine Messer und Gabeln - Schlachtgeräte - auf gedeckten

Tischen sehen und noch weniger das Geräusch des Messerweizens bei Tisch hören wollte -eine Tätigkeit, die

heutzutage als meisterliches Ritual und Inbegriff männlichen Stolzes an den elegantesten Tischen in anderen Teilen der Welt aufgefaßt wird!

 

Heute ist das Essen mit Stäbchen eine der zwei zivilisierten Arten, sich Speisen zum Munde zu fuhren. Stäbchen haben aber auch einen viel größeren Einfluß auf die Chinesische

Küche, als man sich gemeinhin vorstellt.

 

Seit Stäbchen als Besteck akzeptiert sind, wird zwangsläufig die Beschaffenheit der Speisen darauf abgestimmt. Das heißt, alles muß so gegart sein, daß es zart genug ist, um mit Hilfe von Stäbchen zerteilt zu werden; es muß in mundgerechte Stücke geschnitten sein (so groß wie ein Zuckerwürfel oder höchstens so groß wie eine Streichholzschachtel), die man gut aufnehmen und zierlich verspeisen kann; oder die

Zutaten müssen schmal und lang sein (wie zum Beispiel Nudeln), so daß man sie aufsaugen kann — eine echter Genuß für Kenner!

 

Damit man Körnergerichte (Reis etc.) erfolgreich mit Stäbchen essen kann, muß man sie in eine Schale füllen, die man zum Mund hebt: nun ist es ein leichtes, das Getreide mit den Stäbchen hineinzuschieben - die Chinesen beherrschen das meisterhaft. Jeder Europäer wird sich dazu überwinden müssen, so »schlechte Manieren« zu zeigen!

 

Weil Garmethoden, die große Stücke nach langer, langer Schmorzeit butterzart machen, zuviel Brennstoff verbrauchen, bereitet man die meisten chinesischen Gerichte aus bereits kleingeschnittenen Zutaten zu.

 

Und Europäer haben fast immer recht, wenn sie meinen, die Chinesische Küche bestehe vor allem aus Hacken. Hacken. Hacken. Das Zerkleinern der Lebensmittel auf mundgerechte Größe hatte folgende weitreichende Auswirkungen auf die Chinesische Küche:

 

1. Man konnte Lebensmittel mit unterschiedlichsten Garzeiten zusammen verarbeiten und erreichte so eine Vielzahl von Rezepten und Möglichkeiten. Deshalb kennt die Chinesische Küche wohl mehr Gerichte als jede andere Art von Küche.

 

2. Das Pfannenrühren entwickelte sich. Dabei werden kleingeschnittene Zutaten viel rascher gar und nehmen

außerdem durch mehr Oberfläche auch mehr Würze auf. Durch die kurze Garzeit spart man eine Menge Energie. Dies ist zum Beispiel in einer Restaurantküche wichtig, wo man Wert darauflegt, Speisen für jeden Gast ganz individuell zuzubereiten. Und es ist genauso wichtig im Haushalt, wo die Hausfrau oft wenig Zeit hat und obendrein noch sparen muß.

 

3. Weil bereits alles klein geschnitten ist. lassen sich Reste viel einfacher weiterverarbeiten und unter ein neues Gericht mischen, ohne daß die Qualität darunter leidet. So wird jedes Nahrungsmittel viel besser ausgenützt, und das ist für uns alle schließlich ein wichtiger Faktor.

 

Bedenkt man all diese wirtschaftlichen und kulinarischen Vorzüge und den angeborenen Fleiß der Chinesen, dann ist es kein Wunder, zu sehen, wie die Chinesische Küche einen wahren Triumphzug um die Welt macht.

 

Fast alles Chinesische ist auf Konfuzius zurückzuführen. und da mag es sein, daß er durch seine Fürsprache, die Stäbchen als Besteck zu wählen, und durch sein Beharren darauf, daß eine Mahlzeit stets mit Würde und Anstand eingenommen werden sollte, einer der wichtigsten Begründer für die Stärke

chinesischer Eßkultur ist.

 

 

Wie man mit Stäbchen umgeht

 

Einer der häufigsten Fehler beim Gebrauch von Eßstäbchen ist der. die beiden Stäbchen wie eine Schere über Kreuz zu halten und mit den Fingern zu versuchen, die oberen Enden zusammenzudrücken, um damit einen Bissen aufzunehmen. So machen es die chinesischen Babys, wenn sie zum ersten Mal (mit zweieinhalb Jahren) mit Stäbchen essen sollen; selten hat man mit dieser Methode Erfolg.

 

Die richtige Art, mit Stäbchen essen zu lernen, ist diese: Das obere Stäbchen wird mit den Spitzen des Zeigefingers, des Daumens und des Mittelfingers festgehalten; dabei rutscht der Mittelfinger ein wenig (etwa l cm) unter das Stäbchen. Sobald

Sie dieses Stäbchen fest zwischen den Fingern haben, probieren Sie es locker nach oben und unten zu bewegen.

 

Legen Sie nun das zweite Stäbchen unter das erste zwischen Daumen und Hand und führen Sie dabei den Ring- und den kleinen Finger in Richtung Daumen, so daß dieses Stäbchen fest auf ihnen aufliegen kann.

 

Dieses Stäbchen muß während des ganzen Essens dort festliegen, es wird nicht bewegt. Nur das erste, das obere Stäbchen, wird geführt.

 

Wenn Sie nun einen Bissen aufheben wollen, nehmen Sie ihn

zwischen die Stäbchen und pressen das obere gegen das untere, das ganz fest zwischen Daumenbeuge und den beiden kleinsten Fingern liegt (siehe Zeichnung).

 

Sobald Sie gelernt haben, die Stäbchen richtig zu halten und zu bewegen, sollten Sie das nächstwichtige lernen: Entspannen Sie sich. Dann vergessen Sie, daß Sie Stäbchen in den Fingern halten und keine Gabel.

 

Und mit zuckerwürfel- oder streichholzgroßen Stückchen können Sie üben und bald Meister sein. Nach einem einzigen Essen mit Stäbchen werden Sie schon Gefallen an einer der ältesten Eßgewohnheiten der Menschheit finden und vergessen, daß Sie zuvor noch nie Stäbchen in der Hand hatten.